LEBEN: Hintergrundinformationen zum Thriller
Vorbemerkung:
LEBEN. Ich habe das berühmte Wort „Ende“ im Sommer 2019 unter das Manuskript von „Leben“ gesetzt; lange bevor ein Virus namens SARS Cov2 unser aller Leben buchstäblich auf den Kopf gestellt hat, und – das behaupte ich jetzt mal – unser Leben für immer verändert hat. Plötzlich erkennen wir, dass wir verwundbar sind. Und zwar stärker, als viele bislang für möglich gehalten hatten.
Aber auch wenn ich in „Leben“ ein pandemisches Szenario beschreibe, das viele Leser*innen an unsere aktuelle Situation erinnert, so ist und bleibt mein Roman ist erster Linie eine Geschichte über das weltweite Artensterben, das längst zu einem neuen Massenaussterben geworden ist – einem Sterben, dem auch wir Menschen zum Opfer fallen könnten. Und zwar schneller als gedacht.
Die Erde läuft heiß.
Im Verlauf der Erdgeschichte fand an den einzelnen Epochenübergängen immer auch ein ausgeprägtes Massenaussterben statt. Dank Fortschritten bei radiometrischen Datierungs- und Nachweisverfahren, ist es heute möglich, diese Phasen zeitlich genauer einzugrenzen und relativ umfassend zu beschreiben. Das Ergebnis: Die Zeitabstände zwischen derartigen Epochenübergängen werden immer kürzer. Man könnte auch sagen: Die Erde läuft heiß.
Bisher kennt man fünf große Massenaussterben, sowie ca 20 kleinere. Unter Paläogeologen und Evolutionsbiologen herrscht mittlerweile Konsens darüber, dass seit etwa achttausend Jahren (korrelierend mit dem geradezu explosionsartigen Vermehren des Menschen) eine sechste Welle eines Massenaussterbens im Gange ist. Und dieser Prozess beschleunigt sich nachweislich. Aktuell sterben Arten etwa tausendfach schneller aus als in früheren Phasen. Auch die Menschheit könnte zu den baldigen Opfern zählen, warnen jetzt Wissenschaftler dreier renommierter US-Universitäten: Princeton, Stanford und Berkeley.
(An dieser Stelle ein Hinweis: Ich werde unter dem Text Links zu bestimmten Themen oder Studien angeben, um nicht bei jedem Aspekt zu sehr ins Detail gehen zu müssen. »Direkt zu den Links)
Die populäre Annahme, Massenaussterben haben sich jeweils über viele Jahrtausende (oder gar Jahrmillionen) entwickelt, wird dank neuerer Untersuchungen von Sedimentschichten immer mehr in Frage gestellt. Tatsächlich wissen Paläontologen schlichtweg nicht, wie lange die jeweiligen Prozesse wirklich andauerten. Einzelne Massenaussterben könnten 1 Million Jahre oder auch nur ein einziges Jahr gedauert haben.
In 58,1 Prozent der weltweiten Landfläche können Ökosystem ihre für den Menschen wichtigen Funktionen kaum noch erfüllen.
Immer häufiger auftretende Massensterben bei Tierpopulationen an Land wie zu Wasser weltweit lassen aufhorchen. Sie sind ein Fingerzeig, was uns bald in noch größerem Maßstab bevorstehen könnte. Aktuell (Juli 2020) findet in Botswana ein furchtbares Elefantensterben statt, dessen Ursache noch unbekannt ist.
Als Massensterben wird der Verlust großer Teile einer Population bezeichnet, mit oft mehr als 90 Prozent Verlust. Leider haben derartige Massensterben bei Tierpopulationen in den letzten Jahrzehnten zugenommen; ebenso wie die Intensität solcher Vorkommnisse. Das berichten US-Biologen um Samuel Fey von der Yale University in New Haven nach der bislang umfangreichsten Bestandsaufnahme solcher Phänomene. Dafür haben sie fast 730 Publikationen zu Massensterben analysiert, die rund 2400 Tierpopulationen betreffen.
Demnach betreffen die meisten dokumentierten Fälle von Massensterben Fische (56 Prozent). Bei Amphibien und Reptilien stieg die Zahl der Berichte seit den 1970er-Jahren ebenfalls drastisch. Auslöser von Massensterben sind fast immer Infektionskrankheiten (26,3 Prozent), verursacht beinahe zur Hälfte durch Viren (44,5 Prozent), sowie Bakterien (18,3 Prozent) oder Pilze (12,2 Prozent). Zweithäufigste Ursache sind menschliche Eingriffe.
Für eine weitere aufsehenerregende Studie werteten Forscher 2,38 Millionen Datensätze zur Entwicklung und Bedeutung von fast 40.000 Arten an knapp 19.000 Orten auf der Erde aus (PREDICTS-Datenbank). Das Ergebnis ist alarmierend: Die Biodiversität in einem Großteil der Welt liegt bereits unter der von Ökologen angesetzten planetaren Grenze. In 58,1 Prozent der weltweiten Landfläche ist die Artenvielfalt bereits so stark gesunken, dass die Ökosysteme ihre für den Menschen wichtigen Funktionen kaum noch erfüllen können. Bald schon könnte der Point-Of-No-Return erreicht sein, der das Ende der Menschheit einläutet.
Weltweit betrachtet liegt die Hauptursache des beschleunigten Artensterbens in der Konversion von Boden und der gigantischen Abholzung der Regenwälder. Die Umwandlung von natürlichen Lebensräumen, hier vor allem Moore und Sümpfe, in lebensfeindliche „Beton“-Flächen ist ein großes Problem, ebenso die steigende Abholz-Geschwindigkeit der tropischen Nadel- und Regenwälder. Stoppen wir diese zunehmende Abholzung nicht, werden wir in den nächsten 60 Jahren so viele Wälder vernichtet haben, wie in den 10.000 Jahren zuvor.
Auch in Deutschland ist der Zustand der Artenvielfalt alarmierend. Ein Drittel der bei uns vorkommenden Arten steht auf der Roten Liste und gilt somit als gefährdet. (Artenschutzreport 2015, Bundesamt für Naturschutz (BfN) Von über 32.000 Tieren, Pflanzen und Pilze Deutschlands sind mehr als ein Drittel im Bestand gefährdet oder bereits ausgestorben. Dabei ist es längst nicht mehr die Jagd, die zum Aussterben von Arten führt. Das Artensterben findet auf einer viel umfassenderen Ebene statt. Es ist der Mensch, der der Natur zum Verhängnis wird: Zersiedelung von Landschaften, Zerstörung von Lebensräumen, zunehmende Industrialisierung, der Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft, Monokulturen in der Forstwirtschaft, die Trockenlegung von Mooren und Sümpfen.
Ein Drittel der in Deutschland vorkommenden Arten steht auf der Roten Liste
Todeszonen gibt es mittlerweile zu Hunderten weltweit
Der Mensch vernichtet momentan so viele Säugetierarten, dass der bewährte Kompensationsmechanismus der Natur – die Evolution – nicht mithalten kann. Wenn wir diesen Prozess nicht stoppen, werden Berechnungen zufolge allein in den nächsten 50 Jahren so viele Säugetierspezies aussterben, dass die Natur drei bis fünf Millionen Jahre brauchen wird, um sich davon zu erholen.
Doch nicht nur an Land sterben Arten. Auch unsere Meere sterben, und damit die Lebewesen darin. Sogenannte Todeszonen enthalten kaum noch Sauerstoff und entstehen häufig, weil nährstoffreiches Abwasser über Flüsse in die Meere gelangt, was zu einer stark wachsenden Algenpopulation führt. Sterben diese Algen dann ab, werden sie von Bakterien zersetzt, die nahezu allen verfügbaren Sauerstoff aufbrauchen. Diese Todeszonen gibt es mittlerweile zu Hunderten weltweit und sie werden mit jedem Jahr mehr und größer. Große Todeszonen finden sich z.B. in der Ostsee, der nördlichen Adria oder im nördlichen Golf von Mexiko.
Lange Zeit galten Klimawandel und Meeresspiegelveränderungen als Hauptauslöser für Massenaussterben. Doch es gibt auch zahlreiche Indizien, die dagegen sprechen. Hinweise für einen Meteoriteneinschlag vor 65 Millionen Jahre bestreitet heute keiner mehr. Weshalb aber starben dabei nur bestimmte Spezies aus und andere nicht? So starben Dinosaurier, Flugsaurier und Fischsaurier aus, während alle anderen Wirbeltiergruppen (Fische, Amphibien, Reptilien, Vögel und Säuger) überlebten. Zufall? Ein Ausrutscher der Natur? Oder verbirgt sich vielleicht doch ein Prinzip, eine evolutionäre Gesetzmäßigkeit dahinter?
Nimmt man eine Verdunkelung der Erde aufgrund eines Meteoriteneinschlags an, und somit die fast vollständige Einstellung der Photosynthese, sollten alle Tierarten davon gleich betroffen sein. Auch das Überleben blütenbestäubender Insekten kann unter dieser Annahme nur schwer erklärt werden. Die Wissenschaft ist deswegen heute mehr denn je davon überzeugt, dass unbekannte evolutionäre Vorgänge eine weitaus größere Rolle gespielt haben müssen.
Allerdings: Die Faktoren, die zum Massenaussterben am Ende der Permzeit führten, erinnern dabei sehr an heute. Diese These vertritt Prof. Wolfgang Kießling, Lehrstuhl für Paläoumwelt an der FAU. Massive Klimaerwärmung, Ozeanversauerung und Sauerstoffknappheit sind laut ihm belegt. Was uns heute noch von damals trennt, ist lediglich das Ausmaß. Die Vorboten aber sind schon da.
Uns trennt vom Massenaussterben am Ende der Permzeit lediglich das Ausmaß. Die Vorboten aber sind schon da.
In allen fünf Massensterbe-Prozessen war der normale Kohlenstoffkreislauf durch Atmosphäre und Ozeane komplett auf den Kopf gestellt. Ein Prozess, wie wir ihn aktuell wieder erleben.
Die Fachliteratur zu diesem Themenbereich hat sich seit den 1980er Jahren annähernd verzehnfacht und berücksichtigt zunehmend interdisziplinäre Forschungen. Daraus resultiert auch die Erkenntnis, dass Massenaussterben nicht zwangsläufig an langfristige geologische Prozesse gekoppelt sein müssen. Häufig haben sie einen zeitlich eng begrenzten Verlauf genommen. Zudem spricht eine wachsende Zahl von Belegen für die Annahme, dass fast alle bekannten Massenaussterben der Erdgeschichte direkt mit gravierenden Klimawandel-Ereignissen und deren Folgen verknüpft waren.
Eine weitere Theorie lässt aufhorchen und könnte einige der zuvor gestellten Fragen beantworten: In allen fünf Massensterbe-Prozessen war der normale Kohlenstoffkreislauf durch Atmosphäre und Ozeane komplett auf den Kopf gestellt. Ein Prozess, wie wir ihn aktuell wieder erleben. Daniel Rothman, Professor für Geophysik am MIT hat zu berechnen versucht, wie sich weiter steigende CO2-Werte auf die Artenvielfalt der Erde auswirken werden. Rothman sieht eine Katastrophen-Schwelle, die nicht überschritten werden darf. Ansonsten droht mit hoher Wahrscheinlichkeit das nächste Massenaussterben in weniger als 100 Jahren.
In der Vergangenheit, so Rothman, kam es immer dann zu einem Massensterben, wenn auch der Kohlenstoffzyklus gestört war. Durch den gewaltigen CO2-Ausstoß seit einigen Jahrzehnten ist diese Gefahr plötzlich real geworden. Der natürlich vorhandene CO2-Zyklus ist deshalb gestört. Schon bald, so Rothman, werden wir „unbekanntes Terrain“ betreten. Das Problem ist nicht die Veränderung des Zyklus an sich, sondern die Geschwindigkeit, in der diese Veränderung abläuft. Derzeit sei das Tempo dermaßen hoch, dass sich die Natur nicht entsprechend anpassen kann.
Doch unabhängig davon, was genau lässt eine Art aussterben und andere überleben? Bei einem plötzlichen Artensterben verändern sich die üblichen Überlebensregeln so drastisch und/oder so plötzlich, dass die Evolutionsgeschichte kaum noch zählt. Tatsächlich erweisen sich unter derart ungewöhnlichen Umständen vielleicht gerade jene Merkmale einer Spezies als fatal, die für den Umgang mit gewöhnlichen Bedrohungen besonders nützlich waren.
SARS Cov 2 ist das perfekte Beispiel dafür, wie menschliche Einflüsse auf artenreiche Lebensräume mit der Verbreitung von Infektionskrankheiten verknüpft ist.
Da Experimente zum Artensterben zur Beantwortung dieser Frage unmöglich sind, haben Göttinger Forscher am Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation und der ETH Zürich eine mathematische Theorie entwickelt, die unter Verwendung von Fossiliendaten eine Antwort geben kann. Die Theorie zeigt, dass Kettenreaktionen bei der unterschiedlichen Entwicklung der Artenvielfalt im Meer und an Land eine Rolle gespielt haben können. Das mathematische Modell der Wissenschaftler geht davon aus, dass Arten entweder auf Grund von geänderten Umweltbedingungen aussterben oder durch das Aussterben bestimmter anderer Arten, die für sie unentbehrlich sind.
Im Ergebnis: „Wenn es viele Arten gibt, die von wenigen Arten abhängig sind, ist das Ökosystem instabil. Wenn dann wichtige „Schlüsselarten“ durch veränderte Umweltbedingungen aussterben, kann das eine Kettenreaktion auslösen und zu einem Massenaussterben vieler Arten führen.
Das Aussterben einer Art ist immer unumkehrbar und schafft unkalkulierbare Risiken. Tiere und Pflanzen besitzen – neben ihrem Eigenwert – eine Funktion im Ökosystem. Gerät dieses System durcheinander, so entstehen auch Folgen für den Menschen. Nahrung, Wasser und Medizin hängen in weiten Teilen der Erde direkt von einem funktionierenden und gesunden Ökosystem mit einer hohen Artenvielfalt ab. Wird dieses Ökosystem durch Artenverlust zerstört, so gerät auch die Existenzgrundlage eines Großteils der Weltbevölkerung unmittelbar in Gefahr.
SARS Cov 2 ist das perfekte Beispiel dafür, wie menschliche Einflüsse auf artenreiche Lebensräume mit der Verbreitung von Infektionskrankheiten verknüpft ist. Darüber kann man aktuell allenthalben sehr viel lesen, daher möchte ich hier nicht näher auf diesen Aspekt eingehen. Vielleicht nur so viel: Wir Menschen dringen immer tiefer in die Reviere von Wildtieren vor, indem wir Wälder abholzen oder Land roden, um Ressourcen zu gewinnen. Dadurch sind wir zunehmend Krankheitserregern ausgesetzt, die diese Lebensräume unter normalen Umständen nie verlassen hätten.
Mein persönliches Fazit:
Der Mensch ist heute, dank seines enormen Wissens und technologischer Errungenschaften, scheinbar (noch) in der Lage, sämtliche evolutionäre Bedrohungen abzuwehren. Doch wir sägen kräftig an dem Ast, der uns am Leben hält. Alle Zeichen stehen auf Sturm! Die Vorboten des anrollenden Massenaussterbens sollten uns in Alarmstimmung versetzen. All unsere gängigen Pandemie-Szenarien basieren bislang stets auf einer einzelnen Bedrohung (zb ein Virus); mögliche Gegenmaßnahmen basieren häufig nur auf Annahmen. Wie ich ausgeführt habe, sehen wir uns aktuell jedoch mit gleich mehreren unterschiedlichen Bedrohungen konfrontiert. Wir müssen an mehreren Fronten kämpfen, wollen wir diesen Kampf gewinnen.
SARS CoV2 hat uns zu einem Teil die Augen geöffnet und uns viel dazu lernen lassen, aber was, wenn die Evolution für das Leben auf der Erde einen „Schwarzen Schwan“ bereithält – ein vollkommen unerwartetes Ereignis, das so umfassend und komplex ist, dass selbst der Mensch darauf keine Antwort findet? Wenn wir die Zerstörung unserer Ökosysteme weiter ungebremst vorantreiben, so fürchte ich, werden wir uns in nicht allzu ferner Zukunft damit auseinander setzen müssen.